Claude-Henry Joubert

Manuel de composition  et d´improvisation

100 leichte und schmackhafte Rezepte
gewidmt den Feinschmeckern unter den Schülern des ersten Unterrichtsjahres
und ihren neugierigen Lehrern

Edition Zurfluh            ISBN: 2-87750-094-2

 

Einleitung

 

Handbuch der Komposition und Improvisation

„Komposition, Improvisation“ sind große Worte, vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen für den Titel eines Werkes, das ganz eindeutig zur selben Art gehört wie  Bastel- oder Kochbücher.
„Handbuch“ bezeichnet ein Lehrbuch und weist gleichzeitig hin auf den Begriff „Hand“. Genauso soll es sein: Ein Handbuch für Handwerker, ein praktisches Buch für die Praxis.
Dieses Werk, einfach und unbedarft, soll in alle Hände gelangen, in die der Lehrer ebenso wie in die von Schülern, Amateuren und einfach Neugierigen.....Es ist gleichzeitig ein Buch für Lehrer und für „große“ Schüler
( man könnte sagen, ein Buch für alle, die lesen können).
Es ist genau das Buch, das sein Autor gerne besessen hätte, als er vielleicht 11 Jahre alt war, zu der Zeit, als er beim Hören von Schallplatten den Gang der Harmonien erforschte, die ihn überwältigten, die er aber niemals auf dem Klavier finden konnte, da er nicht wusste, wie man es spielt und während er
( ein bisschen spät) sein premier quatuor en la mineur  schrieb, ein ganzes Quartett aufgebaut nur auf dem Akkord a-moll.

 

100 Rezepte

 

In der Pädagogik ist das Wort „Rezept“ oft missachtet, ja sogar verhasst; das ist  sehr schade. Rezepte sind in der Küche unverzichtbar, haben aber niemals die Geburt neuer Geschmacksrichtungen verhindert.....
Warum 100 ? Weil man irgendwo eine Grenze setzen muss und die Zahl 100 gern als Symbol der Vollendung, der Ganzheit, der Vollständigkeit verwendet wird. In der persischen Poesie sagt man von einer Frau, die mit allen Qualitäten geschmückt ist, sie habe „ 100 Haare“, Christine de Pisan schrieb 100 Balladen des Liebhabers und der Dame, Bocaccio die 100 Novellen des Decamerone und der Gauner Arsène Lupin in seinem Rennwagen legte die Strecke Paris - Aiguille creuse, wo sich sein Versteck befand, mit 100 Stundenkilometern zurück.....

 

Jedes Rezept wird in der gleichen Art vorgestellt:

-Was ist zu tun?   Pädagogische und musikalische Ziele der vorgeschlagenen Übung
- Rezept. Angabe über Regeln und Vorgehensweise während des Beispiels
- Erläuterung. Kommentare, Zusammenfassungen, Veränderungen, lose Ideen
-Referenzen- Hier stehen Seite an Seite: Roger Caillois, Bach, Mozart, Georges Perec, Fauré, Francon de Cologne...

 

Cum-ponere

 

Viele Rezepte dieses Handbuchs sind seit Jahren, sogar Jahrhunderten, nein Jahrtausenden bekannt. Der Autor dieses Buches ist kein Schöpfer, sondern ein Sammler, ein Berichterstatter, ein „Kombinierer“, er ist „ Kom-ponist“, das will sagen, er ist der, der zusammenfügt, in Annäherung bringt, wiedervereint, abstimmt, in Zusammenhang bringt,“arrangiert“. Besonderer Dank gilt:
-Jean-Francois Ballèvre, der neulich zum Professor für Klavierbegleitung und - Interpretation am Conservatoire von Orleans ernannt wurde, ein Lehrer von außerordentlichem Einfallsreichtum  (die Rezepte 66, 70 und andere stammen von ihm)
 Arlette Biget, aus deren Werk  Praxis des Gruppenunterrichts in der Instrumentalausbildung in diesem Handbuch oft zitiert wird, zu erkennen an den Initialen A.B. und der Seitenzahl.
-Jacques Petit, Autor des wertvollen Handbuchs der Harmonielehre zum Gebrauch von Schülern und Interpreten, ein Werk in 4 Bänden das die Ausbildung des harmonischen Ohres, basierend auf einer allen zugänglichen Klavierpraxis erlaubt.
- Francois Rossé, von dem der Autor hier wie anderswo die Idee einer sehr wirkungsvollen Notation übernahm.

 

Wer, was, wann,wo,wie ?

Jedes der Rezepte kann angepasst werden an:
- die Zahl der Schüler ( 1, 2, 10, 200 ? )
- das Alter der Beteiligten
- das instrumentale und vokale Niveau der Ausführenden
-die verwendeten Instrumente
-die erwünschte Zielsetzung (Erwerb musikalischer, technischer, theoretischer Fertigkeiten, kurze Erholung in der Mitte einer Stunde, Vorbereitung einer öffentlichen Darstellung etc.)

 

Man kann sich um die Rezepte zu lesen folgender Eselsbrücke bedienen:

- 1   Komposition oder Improvisation ?                  Ad libitum !
- 2   Kleine, Mittlere , Fortgeschrittene ?                  Ad libitum !
- 3   Allein oder in der Gruppe ?                           Ad libitum !
- 4   Instrumente oderGesang ?                                    Ad libitum !

 

Warum?

Dieses Handbuch möchte leicht zugänglich, praktisch und unterhaltsam sein. Das bedeutet nicht, das es ohne Anspruch ist. Es basiert auf der Tatsache, dass „Komposition, Improvisation, Imagination, Einfall“ die Grundlagen der künftigen Musik und der musikalischen Erziehung sind. Es behauptet, dass alle Musiker (groß oder klein), erfinden, sich etwas vorstellen, improvisieren, komponieren müssen, wenn man möchte, dass künftig Musik im 21. Jahrhundert etwas anderes ist als eine politische und industrielle Umweltverschmutzung.

 Man wird auf diesen Seiten einige Spuren, viele Lücken und noch mehr Vorurteile finden.

Wenn der verärgerte Leser:
          findet, dass der Autor hätte anders vorgehen sollen, andere Dinge schreiben, mehr weniger, besser hätte erklären sollen;
         glaubt, dass er andere , bessere, geschmackvollere, leichtere,weniger alberne, ernsthaftere, weniger provokante Rezepte hätte geben sollen.
         beschwört, dass in seiner Klasse, Schule, seinem Orchester, seiner Stadt, der ganzen Welt Komposition und Improvisation, wie Sully sagen würde, die beiden „Brüste“ der Musik sind;

         dann, wird dieses Handbuch nicht mehr gebraucht, dann hat es sein Ziel erreicht....

                                                                                 Claude - Henry  Joubert
                                             -4-

 

Spiele

 

1.- Wettkampfspiele

Wettkampf, in der Klasse oder der Schule, wird allgemein als zweifelhaft und schädlich angesehen, viele Schüler leiden daran ( vor allem im Rahmen der Zeugnisbewertung, punktuell oder kontinuierlich). Aber die Beziehungungen der Schüler untereinander sind niemals ohne Neid, ohne Konkurrenz ja sogar Feindseligkeit. Anstatt die Existenz solch natürlicher Gegebenheiten zu leugenen, sollte man sich des Wettkamps im Rahmen von Spielen bedienen, nicht um zu zerstören, sondern um aufzubauen.
Der Gebrauch eines Spieles impliziert eine grundsätzliche Regel: Der Lehrer muss dieses so modifizieren und abwandeln, dass jeder Schüler, mit seinen Fähigkeiten das Spiel gewinnen kann. Das Spiel kann jeden Aspekt des Unterrichts betreffen : die instrumentale Technik, das musikalische Verständnis, das Hören, die Erfindungskraft, die Lesefähigkeit.
Ob der Wettkamf kurzfristig angesetzt wird, in einer Unterrichtsstunde, oder lange vorher angekündigt wird, wie ein Wettbewerb, ein Turnier, nie solte das Ziel darin bestehen, abzuurteilen, einzugruppieren, sondern „in Wertigkeit“ zu setzen.

Spiel, Wettkampf, Match, Turnier ...

Wer spielt den .... längsten, kürzesten, lautesten, leisesten Ton?
Wer liest (singt, spielt ) diese 16tel- Figur in weniger als 4 Sekunden?
Wer spielt... den dissonantesten Akkord, den ausdrucksvollsten Vorschlag ?
Wer erfindet, nach den vorgegeben Regeln, die angenehmste Melodie ?
Wer findet die beste Harmonisierung, die beste Fortsetzung, den besten Fingersatz ?
Wer nähert sich am meisten, in einer Tonleiter, einer Übung, einer Etüde der Vollkommenheit?
Wer hört die meisten Obertöne zu einem Klavierton?
Wer kann die tiefen Töne des Piccolo von den hohen der Sopranflöte unterscheiden?

Ein Spiel ist nützlich, wie eine Atempause, um zwei Abschnitte angestrengter und ermüdender Arbeit zu unterteilen, wie ein neuer Anstoß, der einer Unterrichtstunde, die in Langeweile versinkt, wieder Schwung gibt, wie eine Wendung, die eine unerfreuliche Situation entspannt. Sein Gebrauch muss gut bemessen werden: nicht zu selten und nicht zu ausufernd.
Wer bewertet die Konkurrenten? Der Lehrer, die Schüler, Zuschauer.... Die Regel und die Kriterien des Spieles müssen  jederzeit klar angesagt sein und das Spiel muss immer freiwillig, unterhaltsam..... und ernsthaft bleiben.

Es ist sehr unterhaltsam den Schülern ein Rätsel zu stellen, das sie nicht sofort am Ort lösen können, vergleichbar einer „Schatzsuche“. Warum hat der Bassschlüssel 2 Punkte?, ist z.B. solch eine schwierige Frage, für die die Schüler ihren Klassenraum, vielleicht sogar die Schule verlassen müssen. Um die Frage zu beantworten müssen sie in die Bibliothek gehen, Bücher wälzen, andere Lehrer fragen, die Eltern, das Internet....Die richtige Antwort wird vielleicht erst in einigen Wochen gefunden! Andere Rätsel: Warum bezeichnet man den 4/4 Takt auch mit einem großen C ? Warum sind Opern ( Theaterstücke ) in mehrere Akte unterteilt?    etc.

Ein unverzichtbarer Führer, um den Gebrauch von Spielen im Unterricht zu reflektieren ist das schöne Buch von Roger Caillois : Les jeux et les hommes. Paris : Gallimard 1958
Auf Seite 50 hat Caillois den Wettstreit folgendermaßen definiert: Ein Wettkampf in dem Chancengleichheit bewusst ( künstlich) geschaffen wird, damit sich die Beteiligten bei idealen Bedingungen gegenüberstehen, die es möglich machen, dem Sieger einen präzisen und unbestreitbaren Wert geben.
        

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2.Glücksspiele

Glücksspiele werden von allen Kindern benutzt, in Form von Abzählreimen, allen Variationen des alten Spiels „Adler oder Zahl“, Kreisel, Karten etc.. Glücksspiele sind gleichfalls, man könnte sogar sagen noch besser, bekannt bei Erwachsenen ( Würfel, Karten, Lotterien, Wetten  etc. ) Es ist also nur natürlich, sie in der musikalischen Erziehung, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen einzusetzen. In den Wettbewerbsspielen verdankt der Gewinner seinen Sieg seiner Intelligenz, seiner Technik, seiner Arbeit, der Gesamtheit seiner angeborenen und erworbenen Fähigkeiten. Bei Glücksspielen sind die Verdienste eines Teilnehmers völlig uninteressant!  Man stelle sich die sehr unterschiedlichen Ziele vor, die einen Lehrer veranlassen, das eine oder andere Spiel aus dieser Kategorie auszuwählen. So kann z.B. ein Glücksspiel inmitten einer Gruppenstunde einem Schüler eine Chance geben, der sonst, immer zu wenig fortgeschritten, zu langsam, zu jung, weniger motiviert oder zu faul, bei einem Wettbewerbsspiel nur wieder die nächste Niederlage zu erwarten hätte......

 

Stein, Schere ,Papier

 

Beide Teilnehmer stehen Rücken an Rücken. Auf Zeichen ( von einem anderen Schüler oder dem Lehrer) spielt jeder eines der drei Motive. Die Schere schneidet das Papier, aber zerbricht am Stein. Papier wickelt den Stein ein, aber wird von der Schere zerschnitten.

 

Die Adaption der 3 Elemente an andere Instrumente ist leicht. Das Motiv der Schere ist schneidend, auf den Punkt gebracht ( kurz, lebhaft, sehr hoch), das des Papiers „einwickelnd“ ( weich, langsam, in der mittleren Lage ), das des Steines schwer (laut und rau, sehr tief ). Die Erfindung der Motive kann man selbstverständlich den Schülern anvertrauen (unter Hilfestellung des Lehrers).

Das Startzeichen ( mündlich oder gestisch) muss sehr präzise gegeben werden, damit die beiden Kontrahenten genau zur selben Zeit beginnen können, ohne Präzision ist das Spiel sinnlos. Das Spiel jedes Konkurrenten muss makellos sein, eine falsche Lage, ein schlechter Klang sind ein Grund aus dem Spiel auszuscheiden!

Viele den Kindern bekannte Glücksspiele können ebenso ( von den Kindern selbst?) in eine Fassung für Instrument oder Stimme übertragen werden.

 

Siehe auch:

Méthode d`alto, 32 lecons pour l4s débutants  de C-H Joubert  Paris: Editions Combre
                                                                                 CO 5949 ,  1998

Über Spiele : A.B.  Seite 44/45